Westschweizer BIP 2023

Die Schwierigkeiten bei der Personalbeschaffung sind eine der Hauptsorgen der Unternehmen. Landesweit gibt es mehr als 120'000 offene Stellen, davon fast 25'000 in der Westschweiz.

Wo sind die Kandidatinnen und Kandidaten geblieben?

Der Fachkräftemangel in der Schweiz macht auch vor der Westschweiz nicht halt. Schweizweit beträgt die Vakanzquote, also das Verhältnis der offenen Stellen zu den gesamten Stellen, 2,2% – so etwas gab es in den letzten zwei Jahrzehnten noch nie. Mit einer Vakanzquote von 1,8% ist der Fachkräftemangel in der Westschweiz weniger ausgeprägt. Die aktuelle Situation ist die Kehrseite des Erfolgs: Zwischen 2002 und 2022 nahm die Stellenzahl schweizweit um 24,6% und in der Westschweiz um 33,3% zu. Das ist mehr als in unseren Nachbarländern und den meisten Industrienationen. Bis anhin vermochte das Bevölkerungswachstum, insbesondere dank der Zuwanderung, mit der Arbeitskräftenachfrage Schritt zu halten. Aufgrund der Pensionierungs-welle der Babyboomer könnte sich der Fachkräftemangel aber dauerhaft verschärfen.

30. Oktober 2023 – Die Rekrutierungsschwierigkeiten gehören zu den Hauptsorgen der Unternehmen. Die 16. Studie zum Westschweizer BIP, die von den sechs Westschweizer Kantonalbanken gemeinsam mit dem Forum des 100 der Tageszeitung Le Temps veröffentlicht wird, widmete sich der Frage, welche Auswirkungen die über 120 000 offenen Stellen in der Schweiz bzw. die nahezu 25 000 offenen Stellen in der Westschweiz haben.

Die hohe Zahl offener Stellen ist Ausdruck der Rekrutierungsschwierigkeiten und eine Folge der aktuellen Vollbeschäftigung. Im September 2023 lag die Arbeitslosenquote in der Westschweiz bei 3% (schweizweit: 2,0%) und entsprach damit den in den letzten zwanzig Jahren beobachteten Tiefstwerten.

 

Sekundärsektor stärker betroffen

Absolut gesehen gibt es schweizweit im Tertiärsektor mehr offene Stellen als im Sekundärsektor: im 2. Quartal waren es 93 000 gegenüber 32 000. Dies ist nicht erstaunlich, sind doch 70% der Erwerbs-tätigen im Dienstleistungssektor tätig. Prozentual gesehen präsentiert sich die Situation jedoch anders: So beträgt der Anteil der offenen Stellen an den gesamten Stellen im Sekundärsektor 2,8% und im Tertiärsektor 2,1%. Es fehlt diesbezüglich an regionalen Daten, aber vieles weist darauf hin, dass der Trend in allen Landesteilen gleich ist. Im Sekundärsektor ist vor allem das verarbeitende Gewerbe vom Fachkräftemangel betroffen, allen voran der Bereich Herstellung von Datenverarbeitungsgeräten und Uhren (4,0%). Im Tertiärsektor weisen folgende Branchen eine klar überdurchschnittliche Vakanzquote auf: Informationstechnologische und Informationsdienstleistungen (3,6%), Hotel- und Gastgewerbe (3,0%) sowie der Bereich Information und Kommunikation (2,9%).

Der Personalmangel betrifft in erster Linie qualifizierte Fachkräfte (höhere Berufsbildung, Diplom einer Fachhochschule oder Lehre). 25% der Unternehmen geben an, solche Fachkräfte nur mit Mühe oder (noch) gar nicht gefunden zu haben. Es zeigt sich im Übrigen, dass die Rekrutierungsschwierigkeiten zunehmend auch nicht qualifiziertes Personal (obligatorische Schule) betreffen. Das Problem ist hier zwar noch nicht so weitreichend wie im Falle der qualifizierten Fachkräfte, betrifft aber immerhin 8% der Unternehmen.

 

Optimismus ist nicht angesagt

Gemäss dem Bevölkerungsszenario des Bundesamts für Statistik (BFS) vermögen der Eintritt junger Menschen in den Arbeitsmarkt und die Zuwanderung die durch die Pensionierung der Babyboomer entstehende Lücke immer weniger zu füllen. Die aktive Bevölkerung dürfte künftig also deutlich weniger stark wachsen, wohingegen beim Stellenaufbau keine Trendumkehr in Sicht ist. In den letzten Jahrzehnten betrug das jährliche Stellenwachstum im Schnitt 1%. Die Differenz zwischen den Stellen und der aktiven Bevölkerung könnte in 10 bis 15 Jahren rund einer halben Million offenen Stellen entsprechen. Auf die Westschweiz würden davon rund 150 000 Stellen entfallen.

Erreicht die Zahl der offenen Stellen allerdings ein gewisses Ausmass, dürften Wirtschaftsund Stellenwachstum abnehmen. Ausserdem gibt es noch andere Wachstumsbremsen: kurzfristig die globale Wachstumsverlangsamung und längerfristig der zunehmende Protektionismus und die wachsenden geopolitischen Spannungen. Die Bevölkerungsentwicklung könnte, wie schon gehabt, auch positiv überraschen. Dann würde die Zahl der offenen Stellen das aufgrund des Vergleichs zwischen Bevölkerungsszenario und bisherigem Stellenwachstum erwartete Niveau möglicherweise nicht erreichen. Eines ist sicher: Qualifiziertes Personal wird in Zukunft sicher nicht leichter zu finden sein als heute, denn das Ausscheiden der Babyboomer fällt ins Gewicht und kann nicht ohne Weiteres kompensiert werden.

Wichtige Wirtschaftskennzahl

Das BIP ist die Kennzahl, die am häufigsten zur Messung der Wirtschaftsleistung eines Landes oder einer Region herangezogen wird. Anhand dieses wichtigen Indikators ist es möglich, die Entwicklung im Zeitverlauf zu analysieren und Vergleiche zwischen den Regionen anzustellen. Mit der Publikation von BIP-Prognosen erhalten die Entscheidungsträger von Privatwirtschaft und Politik zudem ein wertvolles Instrument für die Entscheidungsfindung und Projektdurchführung.

In Zusammenarbeit mit dem Forum des 100 der Tageszeitung Le Temps publizieren die Kantonalbanken der sechs Westschweizer Kantone seit 2008 alljährlich eine Schätzung des Westschweizer BIP mit Daten zu den letzten 25 Jahren und Prognosen für das laufende und das kommende Jahr. Die Berechnungen werden von dem Institut QUANTITAS für Wirtschaftsanalyse und -prognose der Fachhochschule Westschweiz HES-SO gemäss einer systematischen und transparenten Methode vorgenommen. Die Ergebnisse werden auch am 19. Forum des 100 am 31. Oktober 2023 in Lausanne präsentiert.

Wachstumsverlangsamung in der Romandie

Die Erholung nach der Covid-19-Krise war von kurzer Dauer. Nach dem starken Wachstumsschub von 2021 verlor die Konjunktur in der Westschweiz wie in der restlichen Schweiz an Schwung. Unter dem Einfluss einer Vielzahl von Faktoren (Krieg in der Ukraine, Höhenflug der Energiepreise, Teuerungsschub, Leitzinserhöhungen, Abkühlung der Weltwirtschaft usw.) verlangsamte sich das BIP-Wachstum in unserem Land und der Romandie im vergangenen Jahr von 5,1% auf 2,4% bzw. 2,1%.

Die konjunkturellen Gegenwinde sind nach wie vor harsch. So liegt etwa die Teuerung in den USA (September: 3,7% im Vorjahresvergleich) und in der Eurozone (4,3%) immer noch über dem Inflationsziel von 2%. Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet denn auch für dieses und nächstes Jahr bloss mit einem globalen Wachstum von 3,0% bzw. 2,9%. Die Prognosen für die Schweiz und die Romandie haben ebenfalls Abstriche erfahren. Das Wachstum wird dieses und nächstes Jahr schweizweit 1,3% bzw. 1,2% und in der Romandie gemäss dem Institut QUANTITAS für Wirtschaftsanalyse und ‑prognose der Fachhochschule Westschweiz HES-SO 1,3% bzw. 1,5% betragen.

Die Ungewissheit ist gross. Die geopolitischen Spannungen haben sich mit der Eskalation im Nahen Osten verschärft. Weitere Risikofaktoren sind die Gefahr einer Energiekrise, die hohe Verschuldung bestimmter Länder und im Falle der Schweiz der hohe Franken und die Entwicklung ihrer Beziehungen mit der EU.