05 Mai 2025
Anlagen

Market Weekly - Das Modell des Freihandels gilt nicht mehr

Mathias Cotting Von Mathias Cotting
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Erleben wir das Ende des Freihandels?

Bereits in der Vergangenheit gelang es mir, mich unabsichtlich der Börsenwoche mit der höchsten Volatilität zu entziehen. So war es auch in der zweiten Aprilwoche. Ich durfte an einem ruhigen Ort in Südfrankreich eine Woche Ferien mit meiner Familie verbringen. Wenn ich jeweils aus dem Urlaub zurückkomme, habe ich normalerweise nicht das Gefühl, viel verpasst zu haben, da sich die wirtschaftliche Situation und die Finanzmärkte innerhalb einer Woche nicht grundlegend verändern. Die schockierenden Ankündigungen von Donald Trump haben mich jedoch dazu veranlasst, über diese Erwartungshaltung zukünftig nachzudenken. 

Ein Rückblick auf die wichtigsten Ereignisse

Am 2. April (dem Tag vor meiner Abreise nach Südfrankreich) präsentierte Donald Trump seine Vorstellung vom globalen Freihandel, in dem er reziproke Zölle für beinahe jedes Land bekannt gab. Diese Ankündigungen führten in den darauffolgenden Tagen zu einem drastischen Einbruch der Aktienmärkte. Eine Woche später, als die meisten Länder die US-Regierung zur Aufnahme von Verhandlungen kontaktiert hatten, kündigte Trump eine 90-tägige Zollpause sowie die Anwendung des Mindestzolls von 10% für Importe aus allen Ländern an. Nur für China bleiben die reziproken Zölle in Kraft, da die Regierung in Peking auf die US-Zölle ebenfalls mit Importzöllen reagiert hatte. 

Aber was erleben wir gerade? Man kann es als grossen Umbruch bezeichnen, der Welthandel wird in den kommenden Monaten neu gestaltet. Das Modell des Freihandels, bei dem Waren frei zirkulieren, gilt nicht mehr. Es ist wohl die US-Regierung, die ihre Regeln durchsetzen wird, höchstwahrscheinlich zu ihrem Vorteil, um mehr zu exportieren und weniger zu importieren. 

Importzölle, weil die USA zu hoch verschuldet sind 

Der Freihandel basierte bisher darauf, dass die USA mehr importierten als exportierten. Die USA haben also ein Handelsbilanzdefizit. Der amerikanische Konsument betreibt in dem Sinne Fabriken auf der ganzen Welt. Infolgedessen machte die Regierung enorme Schulden. Diese werden von ausländischen Investoren (Japan, Europa, China usw.) als Vermögensanlage gekauft und normalerweise auch gehalten. Die ausländischen Investoren profitierten ebenfalls vom wirtschaftlichen Aufschwung in den USA, indem sie in den US-Aktienmarkt investiert haben, der sich dank der führenden Unternehmen im Bereich der künstlichen Intelligenz extrem stark entwickelt hat. Mittlerweile erreicht die US-Staatsverschuldung aber ein nicht mehr tragbares Niveau. Die Importzölle werden die Staatseinnahmen erhöhen und zur Tragfähigkeit der US-Verschuldung beitragen. Es scheint, dass die Importzölle als Teil zur Lösung dieser Schuldenkrise angedacht sind. Mit ihnen sollen die Staatseinnahmen der US-Regierung erhöht werden und es damit ermöglichen, die bestehenden Schulden zu attraktiven Konditionen zu refinanzieren. 

Das Modell des Freihandels, bei dem Waren frei zirkulieren, gilt nicht mehr. Es ist wohl die US-Regierung, die ihre Regeln durchsetzen wird, höchstwahrscheinlich zu ihrem Vorteil, um mehr zu exportieren und weniger zu importieren.

Chefökonom
Was sind die Folgen für die Anleger? 

Das Umfeld mit sehr grosser Unsicherheit scheint sich etwas aufzuklären. Laut Aussagen des Finanzministers scheint es, dass die universellen Importzölle von 10% die Untergrenze bilden und die Obergrenze jeweils denjenigen Zahlen entspricht, die Donald Trump den Medien anlässlich seiner Ansprache am 2. April vorgestellt hat. Auch wenn wir heute das Ausmass der zukünftigen globalen Importzölle nicht kennen, scheinen sich die Bandbreiten abzuzeichnen. Dies ist eine durchaus wichtige Beobachtung für Investoren, da die Situation der maximalen Unsicherheit damit hinter uns liegt. 

Ein weiterer sehr interessanter Faktor ist der Zeitpunkt, zu welchem Donald Trump die Pausierung der reziproken Zölle angekündigt hat. Die Ankündigung erfolgte, als der US-Aktienmarkt seit den ersten Ankündigungen 15% eingebüsst hatte. Gleichzeitig stiegen die Renditen der 10-jährigen Staatsanleihen stark an. Für die Märkte bedeutete dies, dass Donald Trump doch auf signifikante Marktreaktionen reagiert. Ein Rückgang von 15% könnte ihn dazu veranlasst haben, seine Meinung zu ändern oder vorerst zu überdenken. Auch die Renditen auf US-Staatsanleihen sind in kürzester Frist auf über 4,5% gestiegen und haben damit sicherlich auch die Entscheidung zur Pausierung der Importzölle geprägt. 

Letztendlich stellen diese grundlegenden Veränderungen den US-Dollar als Reservewährung und damit auch US-Staatsanleihen als sichere Vermögensanlage in Frage. In den kommenden Monaten könnten die politischen Entscheidungen, welche im Kontext des latent brodelnden Handelskrieges getroffen werden, erste Anhaltspunkte für Antworten zur zukünftigen Rolle des US-Dollars liefern.