Ist es möglich, Negativzinsen zu umgehen?

Was lange Zeit als Tabu galt, wurde schliesslich Realität, in der sich die Schweiz seit 2015 befindet.

Mathias Cotting, Chefökonom

Was lange Zeit als Tabu galt, wurde schliesslich Realität, in der sich die Schweiz seit 2015 befindet. Mit einer an Europa gebundenen Wirtschaft und einem starken Schweizer Franken könnte diese Situation noch lange andauern.

Der Zinsmechanismus

Der Zinssatz ist eine Variable, die Sparer und Kreditnehmer zusammen- und näher bringt. Der Sparer legt sein Geld gegen eine bestimmte Vergütung, den Zinssatz, an. Der Kreditnehmer erhält eine Geldsumme gegen Zahlung eines Zinses. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) ist die Wächterin der Zinsen. Sie entscheidet über die Höhe des Leitzinses anhand von Kriterien wie Wirtschaftsstabilität und Inflationsniveau. Läuft die Wirtschaft derart auf Hochtouren, dass sie zu überhitzen droht, erhöht die SNB oftmals die Leitzinsen. Auf diese Weise wird die Kreditaufnahme zugunsten des Sparens erschwert und Kapital von der Realwirtschaft abgezogen, wodurch die Wirtschaftstätigkeit gebremst wird.

Wie ist es zu Negativzinsen gekommen?

Im Jahr 2015 änderte die SNB überraschend ihre Geldpolitik. Sie beschloss die Abschaffung des bis dahin verteidigten Mindestkurses von 1,20 Schweizer Franken für 1 Euro und senkte gleichzeitig den Leitzins auf -0,75%. Der Leitzins war zum ersten Mal negativ. Aber warum? Musste die Wirtschaft 2015 angekurbelt werden? Um die Geldpolitik der SNB zu verstehen, müssen wir weiter in die Vergangenheit zurückgehen. Im Jahr 2011 befand sich Europa in einer Vertrauenskrise. Griechenland brachte die Staatsfinanzen mehrerer Länder in Europa aus dem Lot. Diese Vertrauenskrise machte sich bei den Wechselkursen bemerkbar, wobei der Schweizer Franken als Fluchtwährung auf Kosten des Euro sehr gefragt war. Für europäische Unternehmen, die in der Schweiz einkaufen, wurden die Produkte immer teurer. Produkte von Schweizer Unternehmen verloren dadurch schnell an Attraktivität und europäische Kunden besorgen sich dieses anderswo. Aus Angst vor einem Schneeballeffekt und negativen Folgen für die Wirtschaft legte die SNB einen Mindestkurs von 1,20 zwischen Euro und Schweizer Franken fest und federte dadurch einen Teil der negativen Auswirkungen auf Industrie und Tourismus ab. Diese Strategie, im Zuge derer die SNB Schweizer Franken druckt, um Fremdwährungen zu kaufen, wurde von der SNB bis 2015 fortgesetzt. Um nicht mehr eine astronomische Menge an Schweizer Franken drucken zu müssen, gab sie den Mindestkurs schliesslich auf, senkte dafür aber den Leitzins von 0 % auf -0,75%. Der Negativzins dient der Absicht der SNB, den Schweizer Franken gegenüber dem Euro unattraktiv zu machen. Wer Schweizer Franken besitzt, muss ab einem gewissen Betrag eine Abgabe von 0,75 % pro Jahr zahlen.

Wissenswertes

Wer diversifiziert investiert, kann Negativzinsen umgehen und von steigenden Finanzmärkten profitieren.

  • Seit 2015 auferlegt die SNB den Banken einen Zinssatz von -0,75 %, den sie zunehmend auf ihre Kunden abwälzen.
  • Solange der Schweizer Franken stark bleibt, wird die Negativzinspolitik der SNB fortgesetzt.
  • Es gibt Anlagelösungen, die es den Kunden ermöglichen, Negativzinsen zu umgehen und zugleich ihr Vermögen gewinnbringend anzulegen.

Was sind die Folgen davon?

Die SNB setzte auf eine präventive Politik. Die negativen Auswirkungen eines zu starken Schweizer Frankens haben die Schweizer Wirtschaft nur leicht beeinträchtigt. Indem die SNB den Schweizer Franken seit 2015 abwertete, konnte sie die Schweizer Industriestruktur bewahren. So gesehen, war der Auftrag der SNB, die Wirtschaft gesund zu halten, erfüllt. Nichtsdestotrotz verursacht das Unterschreiten der Nullzinsgrenze einen Dominoeffekt, vor allem auf dem Immobilienmarkt. Institutionelle Anleger wie Versicherungen und Pensionskassen, denen Negativzinsen auferlegt werden, wenden sich Immobilien und anderen risikoreichen Anlagen zu. Motiviert durch attraktive Hypothekarzinsen, investieren immer mehr Menschen in Immobilien. Das starke Interesse am Immobilienmarkt führt somit zu einem starken Anstieg der Preise. Die Kehrseite der Negativzinsen betrifft auch die Pensionskassen und Sparer. Niedrige Zinsen gehen mit niedrigen Renditen einher. Diese neuen Parameter zwingen die Pensionskassen dazu, ihre Kapital- und Rentenprojektionen neu zu bewerten. Die Leistungen werden gesenkt (höheres Rentenalter und tieferer Umwandlungssatz). Während frühere Generationen von «günstigen» Rentenbedingungen profitieren konnten, können die heutigen Erwerbstätigen das nicht mehr von sich behaupten.

Gibt es Möglichkeiten, Negativzinsen zu umgehen?

Auf Sparkonten gibt es zunehmend negative Zinsen. Als Intermediäre unterliegen die Banken ab einem Freibetrag einem Zinssatz von -0,75 % auf ihre Guthaben bei der SNB und wälzen diesen zunehmend auf ihre Kunden ab. In der Vergangenheit, als die Zinsen höher waren, zahlte die SNB Zinsen auf die Guthaben der Banken, die wiederum positive Zinsen an ihre Kunden zahlten. Die naheliegendste Lösung zur Umgehung von Negativzinsen ist die Umgehung des Sparkontos. Doch welche Alternative gibt es? Eine Möglichkeit wäre, dem Ziel der SNB, nämlich die Abwertung des Frankens, zu folgen. Wer seine Schweizer Franken verkauft und auf eine Fremdwährung ausweicht, kann Negativzinsen umgehen. Diese Alternative birgt allerdings zu hohe Devisenfluktuationsrisiken. Die bessere Wahl, welche in den letzten Jahren übrigens als die sicherste galt, wäre, sein Vermögen in Finanzanlagen zu investieren. So umgehen Sie nicht nur Negativzinsen, sondern profitieren auch von steigenden Finanzmärkten.